Allgemein zu Einwilligung und Aufklärung
- 630d I BGB regelt die Notwendigkeit der Einwilligung:
(1) Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Ist der Patient einwilligungsunfähig, ist die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, soweit nicht eine Patientenverfügung nach § 1901a Absatz 1 Satz 1 die Maßnahme gestattet oder untersagt. Weitergehende Anforderungen an die Einwilligung aus anderen Vorschriften bleiben unberührt. Kann eine Einwilligung für eine unaufschiebbare Maßnahme nicht rechtzeitig eingeholt werden, darf sie ohne Einwilligung durchgeführt werden, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.
Wer willigt ein?
Es soll allein dem mündigen Patienten obliegen, über den eigenen Körper und die insoweit durchzuführenden Maßnahmen zu entscheiden.
Absatz 1 Satz 2 regelt den Fall, dass der Patient selbst nicht fähig ist, in den Eingriff einzuwilligen. Entscheidend für die Einwilligungsfähigkeit ist die natürliche Willensfähigkeit des Patienten. Das Einsichtsvermögen und die Urteilskraft des Patienten müssen ausreichen, um die vorherige Aufklärung zu verstehen, den Nutzen eines Eingriffs gegen dessen Risiken abzuwägen und um schließlich eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen.
Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass ein Volljähriger einwilligungsfähig ist. Bei dem Minderjährigen kommt es auf die Umstände des Einzelfalles. Ist der Patient unfähig, selbst in einen Eingriff einzuwilligen, so obliegt es dem Behandelnden, die Einwilligung eines hierzu Berechtigten (Vormundes, Betreuers, gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertreters) einzuholen. Dieser entscheidet dann im Sinne des Patienten über die Einwilligung in den Eingriff. Davon darf und muss dann abgesehen werden, soweit der Patient seinen Willen die Einwilligung betreffend in einer Patientenverfügung (§ 1901a BGB) nach erfolgter Aufklärung oder nach dem Verzicht auf die Aufklärung (§ 630e III BGB) geäußert hat. In diesem Fall kommt es ausschließlich auf den in der Patientenverfügung geäußerten Willen an.
Ausnahme von der Pflicht zur Einholung der Einwilligung:
- 630d I Satz 3 BGB regelt eine Ausnahme von der Pflicht zur Einholung der Einwilligung:
Kann eine Einwilligung für eine unaufschiebbare Maßnahme nicht rechtzeitig eingeholt werden, darf sie ohne Einwilligung durchgeführt werden, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.
Ein unaufschiebbarer Eingriff ist insbesondere bei einem Notfall denkbar, bei dem durch einen Aufschub Gefahren für das Leben oder für die Gesundheit des Patienten drohen, so dass eine ordentliche Einwilligung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters nicht mehr rechtzeitig erfolgen kann. Gleichwohl muss der Eingriff in diesem Fall dem mutmaßlichen Willen des Patienten entsprechen. Der Inhalt dieses mutmaßlichen Willens ist primär aus den persönlichen Umständen des Betroffenen und seinen individuellen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen zu ermitteln (BGH NJW 1977, 337, 338; VersR 2000, 603, 605).
- 630d II BGB regelt, dass die Aufklärung der Einwilligung vorauszugehen ist:
(2) Die Wirksamkeit der Einwilligung setzt voraus, dass der Patient oder im Fall des Absatzes 1 Satz 2 der zur Einwilligung Berechtigte vor der Einwilligung nach Maßgabe von § 630e Absatz 1 bis 4 aufgeklärt worden ist.
- 630e I und II BGB regeln den Verlauf und Inhalt der Aufklärung
(1) Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.
(2) Die Aufklärung muss
- mündlich durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt; ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält,
- so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann,
- für den Patienten verständlich sein.
Dem Patienten sind Abschriften von Unterlagen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet hat, auszuhändigen.
- 630e III BGB regelt den möglichen Verzicht auf die Aufklärung:
(3) Der Aufklärung des Patienten bedarf es nicht, soweit diese ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände entbehrlich ist, insbesondere wenn die Maßnahme unaufschiebbar ist oder der Patient auf die Aufklärung ausdrücklich verzichtet hat.
- 630h II BGB regelt die Beweislast bei Haftung für Aufklärungsfehler:
(2) Der Behandelnde hat zu beweisen, dass er eine Einwilligung gemäß § 630d eingeholt und entsprechend den Anforderungen des § 630e aufgeklärt hat. Genügt die Aufklärung nicht den Anforderungen des § 630e, kann der Behandelnde sich darauf berufen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte.
Die Beweislastumkehr erklärt sich vor dem Hintergrund, dass dem Patienten der Beweis einer negativen Tatsache, nämlich der Beweis für eine nicht ordnungsgemäße Aufklärung oder für eine nicht erfolgte Einwilligung, in der Regel nicht gelingen wird. Demgegenüber ist es für den Behandelnden ein leichtes, Aufzeichnungen über den Inhalt einer erfolgten Aufklärung und Einwilligung zu erstellen und ggf. durch etwaige Formulare von dem Patienten bestätigen lassen, dass eine bestimmte Aufklärung in einem bestimmten Umfang erfolgt ist und dass der Patient in den Eingriff eingewilligt hat.
Partielle Aufklärung:
Hat der Behandelnde den Patienten (partiell) zwar nicht ordnungsgemäß aufgeklärt, verwirklicht sich jedoch ein (anderes) Risiko, über das der Behandelnde umfassend und ordnungsgemäß aufgeklärt hat, so kann sich der Patient nicht darauf berufen, er sei teilweise nicht aufgeklärt worden, BGH, Urteil vom 15. Februar 2000, Az. VI ZR 48/99.
Unterbliebene bzw. unzureichende Aufklärung, hypothetische Einwilligung des Patienten:
Absatz 2 Satz 2 regelt den Fall einer behaupteten hypothetischen Einwilligung des Patienten nach unterbliebener bzw. unzureichender Aufklärung. Steht fest, dass die Aufklärung nicht die Anforderungen des § 630e erfüllt, wird vermutet, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht in den Eingriff eingewilligt hätte, der Behandelnde die Einwilligung also nicht hätte einholen können. Der Behandelnde kann gemäß § 292 ZPO jedoch das Gegenteil beweisen, indem er nachweist, dass sich der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung für den Eingriff entschieden hätte und er eine wirksame Einwilligung hätte einholen können (BGH VersR 1980, 428 ff.). Hätte der Patient somit den Eingriff ohnehin vornehmen lassen, fehlt es an dem für die Schadenersatzhaftung erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen der unterbliebenen bzw. unzureichenden Aufklärung und dem eingetretenen Schaden. Die Folge ist, dass der Behandelnde nicht für die Verletzung seiner Pflicht zur Einholung einer Einwilligung und die Verletzung seiner Aufklärungspflicht einzustehen hat und dem Patienten weder zum Ersatz eines Schadens noch zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verpflichtet ist.
Entscheidungskonflikt über die Vornahme des Eingriffs :
Gegen den Nachweis einer hypothetischen Einwilligung kann der Patient seinerseits darlegen, dass er sich nach einer ordnungsgemäßen Aufklärung in einem ernsthaften Entscheidungskonflikt über die Vornahme des Eingriffs befunden hätte. Ausreichend ist die nachvollziehbare und plausible Darlegung des Patienten, dass ihn die Frage, ob er den Eingriff tatsächlich durchführen soll, ernsthaft und nachhaltig in einen inneren Konflikt versetzt hätte. Nicht erforderlich ist es, dass der Patient weitergehende Ausführungen hinsichtlich seines Alternativverhaltens tätigt. Im Bestreitensfall hat der Patient den Entscheidungskonflikt zu beweisen. Hierfür sind allein der jeweilige Patient und dessen Entscheidung im Einzelfall maßgeblich. Inwieweit ein verständiger oder durchschnittlicher Patient die Einwilligung erteilt hätte, ist dabei irrelevant. Gelingt dem Patienten der Nachweis eines ernsthaften Entscheidungskonflikts, bestehen ernsthafte Zweifel an der Behauptung des Behandelnden, der Patient hätte auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt.